Das Leben im Kreislauf der Natur

Moviekritik: Evil Does Not Exist
Bildquelle: 
©NEOPA _ Fictive / Prosafilms

Der neue Film von Ryusuke Hamaguchi, Regisseur des mit einem Oscar gekrönten Films «Drive My Car», ordnet sich sehr bewusst der Natur unter und lässt die Bilder teils mit voller Absicht entschleunigt wirken. Der Film enstand erneut mit der Komponistin Eiko Ishibashi, die schon bei «Drive My Car» für die Musik verantwortlich war. Aus der Zusammenarbeit entstand ebenfalls der Performancefilm «Gift», der eigentlich ein Stummfilm ist und von der Musik lebt. Er wird demnächst erscheinen. Zwar ist «Evil Does Not Exist» kein Stummfilm, spielt aber gezielt mit audio-viusellen Empfindugen. Prägend ist zudem die Stille, denn die Ruhe der Natur ist elementar für die feine Parabel über das Verhältnis zwischen Menschen und Umwelt.

 

Wenn Umweltverschmutzung droht, hält die Bevölkerung zusammen

 

Minutenlang schwebt die Kamera anfangs durch den Wald, die Sicht in die Baumkronen gerichtet. Irgendwann tritt die kleine Hana kurz ins Bild, vermutlich hat die Kamera in der Sequenz davor ihre Sicht eingenommen, bevor wir ihren Vater Takumi beim Holzhacken vor einer Hütte beobachten. Der kräftige, ruhige Mann spaltet die Scheite präzise und beim späteren Wasserholen am Bach scheint er mit der Natur in Einklang zu leben. Wenig später findet Takumi sich an einer Sitzung mit den Nachbarn wieder. Eine Agentur plant ein Luxus-Camping-Projekt und scheint sich wenig um die Anliegen der Bevölkerung zu sorgen. Das Projekt droht die Umgebung zu verschmutzen, speziell das Grundwasser. Zur Klärung hat die Agentur eine Frau und einen Mann geschickt, die nun den Unmut der Bevölkerung ertragen müssen. Die Erfahrung prägt die beiden nachhaltig und später erfahren sie unmittelbar, dass die Natur erbarmungslos kann.

 

Takumi und seine Tochter Hana entdecken zusammen die Natur. (EDN©2023 NEOPA _ Fictive)

 

In den ersten zehn Minuten wird im Film kein Wort gesprochen. Respektvoll führt uns der japanische Filmemacher in die Natur und das Leben in der kleinen Gemeinde ein. Es sind die Schneeberge, die winterlich karge Waldlandschaft und das klare Wasser, die deutlich machen, dass es in «Evil Does Not Exist» um die Natur geht. Der Film entfaltet durch seine langsame Erzählweise eine starke und authentische Sogwirkung, der man sich kaum entziehen kann. Die Handlungsebenen, die in der ersten Viertelstunde eröffnet werden, könnten in viele Richtungen führen. Weil aber kaum Musik zu hören ist, lässt sich schwierig an der Intension erkennen, in welchem Genre man sich bewegt.  Man will wissen, wie es weitergeht und wird mehrfach überrascht. Dieser clevere Zug verstärkt das Filmerlebnis zusätzlich und unterstreicht letztlich, den künstlerischen Anspruch an den Film, auch wenn er so leicht wirkt, dass man sofort im Film und bei den Menschen ist.

 

Ein poetisch-langsamer Film für die Seele

 

Neben der Verneigung vor der Natur gelingt Ryusuke Hamaguchi ein narratives Kunststück, das naheliegt. Er bezieht keine Positionen, zeigt seine Figuren nie schwarz oder weiss, gut oder böse, sondern zeigt auf, wie auf beiden Seiten Menschen stehen, die versuchen, möglichst fair zu bleiben, auch wenn sie Chefs haben, die Dollars vor Augen sehen. Viel lieber überlässt er es uns im Kino, Schlüsse zu ziehen – oder auch nicht. Denn das Werk lädt zum Eintauchen und Beobachten ein und zeigt sich sehr menschlich. So konnte «Evil Does Not Exist» an den Filmfestspielen von Venedig den Grossen Preis der Jury gewinnen und es darf nicht erstaunen, sollte Japan den Film im kommenden Jahr für die Oscars® als bester internationaler Film einreichen. Verdient hätte es der poetisch-langsame Film für die Seele durchaus.

 

«Evil Does Not Exist» verzichtet auf Plattitüden, auch wenn sie naheliegend wären, und konzentriert sich lieber auf die leisen Zwischentöne zwischen Menschen und Natur. Die goldrichtige Entscheidung.

 

  • Evil Does Not Exist (Japan 2023)
  • Regie: Ryusuke Hamaguchi
  • Besetzung: Hitoshi Omika, Ryo Nishikawa, Ryuji Kosaka, Ayaka Shibutani
  • Laufzeit: 106 min, OV/df
  • Kinostart: 11. April 2024

 

Bäckstage Redaktion / Do, 11. Apr 2024